Leipziger Volkszeitung Ausgabe Wurzen vom 22. Juni 2000 unter der Heimatseite

Feldscheunen verkürzten deutlich die Erntezeit

Man brachte das Getreide möglichst schnell vom Feld und fuhr es nicht mehr in die Scheunen auf dem Hofe ein

Die Jahrhunderte hindurch war es für die meisten Menschen in Stadt und Land ungewöhnlich, sich ein paar Tage hindurch wirklich satt essen zu können. Das „tägliche Brot“ wurde darum geschätzt und geachtet. Noch vor reichlich. 100 Jahren erntete man höchstens „das Zwanzigfache der Aussaatmenge und achtete so jedes Getreidekorn“.
Im Zuge der grundsätzlichen Veränderungen der Gesellschaft im 19. Jahrhundert stiegen nicht nur die Erträge, auch die Feldarbeit wurde intensiviert und die Arbeit schrittweise neuorganisiert. Man brachte das Getreide .erst einmal möglichst schnell vom Felde und fuhr es nicht mehr in die Scheunen auf dem Hofe ein.
Es wurde günstig; platziert und' an den Feldrändern entstanden spezielle Lagerhäuser, . die treffen das Feldscheunen bezeichnet wurden. Damit verkürzte sich die Erntezeit, während sich das eigentliche Dreschen noch 'in gewohnter .Weise abspielte. Man drosch zunächst weiterhin mit Flegeln und bis in das Frühjahr hinein. Dreschgöpel, Dampflokomobile und schließlich Elektromotoren wurden als einander ablösende Antriebsmittel eingesetzt. Gleichzeitig wurden mechanische Maschinen zum schnellen, sauberen Drusch entwickelt und ständig verbessert in den Feldscheunen eingesetzt.
Die Feldscheunen, unterscheiden sich von den überlieferten nicht nur durch den neuen Standort, sondern vor allem durch ihre Konstruktion. Die oft recht großen Gebäude haben nur flach geneigte glatte Dächer und kaum Dachausbauten. Oft wurden sie mit .Pappdächern gedeckt. Den Baustoff Dachpappe kennt man erst seit den Jahren um 1850.
Die Wand- und Dachkonstruktion waren hier zunächst fremd. Es sind äußerlich betrachtet die süddeutschen Dachformen der Pfettendächer und Billiglösungen. Am First, in der Mitte und am Fuß der .Dächer liegen parallel zur Traufe die Pfetten, die weit über :die Giebel vorstehen. Sie tragen die Sparren. Durch Zangen wird der Feldscheunenbau in der Quere stabilisiert. Dazu dienen halbierte Hölzer mit rechteckigen Querschnitten, die oft mit Stählteilen verbolzt sind. Im Ganzem sind die Dachstuhle und Wände auf das konstruktiv absolut Notwendige reduziert, weil man keine sehr lange Lebensdauer dieser reinen, schmucklosen Zweckbauten plante.
Handwerklich sind sie alle solide ausgeführt, die Holzverbindungen sind gewissenhaft „gezapft und wenn es nötig war, half man auch mit stählernen Zugankern, die Bauten zuverlässig zu stabilisieren. Den Feldscheunen ist es eigen, dass sie nach Lösungsschemen konstruiert und statisch nach Tabellen berechnet wurden. Man krauchte keine Deckenlasten zu berechnen, denn die Scheunen wurden von unten bis unter das Dach von Anfang an voll auszudreschendes Getreide „gebanselt". Aber auch als leere Scheunen mussten sie. Sturm und Schnee wiederstehen. Der Vorzug dieser Feldscheunen Dachstühle liegt vor allem darin, dass sie stützenfrei sind und beliebig genutzt werden können. Aus anderen Notwendigkeiten als in ihren Ursprungsregionen haben sie hier weite Dachüberstände. So kann man das Regen- und Spritzwasser von den hölzernen, Unterkonstruktionen der reinen Fachwerk-Scheunen besser fern halten. Die hohen Fachwerkwände dieser Scheunen wurden meist halb-ziegelstark ausgemauert, manchmal auch nur von außen verbrettert.
Das Nutzen dieser Scheunen ging gut, solange sie dichte Wände und Dächer und keine oder dichte Dachrinnen hatten. Es ist aber problematisch, wenn an defekten Stellen der Dachrinnen Wässer konzentriert auf die Erde spritzt. Ebenso ist es mit den Pappdächern. Wenn die nicht halbwegs regelmäßig gepflegt werden, setzt der Verfall schnell ein und steigert sich galoppierend. Sind die kleinen Löcher in den Dächern nicht zu schließen, steht bald der ganze - leichte Bau nicht mehr. Hinzukommt, dass es sehr schwer ist, die undichten Stellen im Dachbelag genau festzustellen. Lm Grunde waren die Feldscheunen nach 1960 überflüssig; funktionslos oder überholt. Die Technik der Getreideernte hatte sich durchweg geändert. Sie findet seitdem mit großem Aufwand an Technik gleich auf dem Feld statt und ist, nur noch die Arbeit weniger Wochen. Wie. die meisten bäuerlichen Wirtschaftsbauten werde die Feldscheunen - oft nach einer Zeit der Verwahrlosung - abgerissen, ohne dass sie als Zeugen der landwirtschaftlichen Entwicklung Spuren hinterlassen.        Rudolf Priemer


Nachtrag:

Der Sturm Kyrill fegte auch Mitte des ersten Jahrzehnts des neuen Jahrtausends über Sachsen, was auch Spuren an der Feldscheune hinterließ. Sie war irreperabel geschädigt und wurde von der Familie Hörig aus Oelschütz abgerissen.

Foto: Kathleen Kramer